VSF-Suisse führt mit Unterstützung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und dem Kooperationsbüro an der Schweizer Botschaft in Juba, Südsudan, ein dreijähriges Projekt (PROWIGA) durch, welches sich zurzeit im letzten Jahr der Umsetzung befindet. Das Projekt zielt darauf ab, die Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit sowie die Einkommensmöglichkeiten und die gemeinschaftlichen Spargruppen (Village Savings and Loan Associations – VSLA) für Haushalte in mehreren Regionen des Landes zu verbessern.
Im Juni 2023 hat das Projekt in Zusammenarbeit mit dem lokalen Ministerium für Viehzucht und Fischerei über mehr als 3‘000 Hybridhühner an 500 besonders verletzliche Haushalte verteilt, was insbesondere Frauen, Jugendlichen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Juba zugutekommen sollte.
Dorcus Isaiah, eine Bewohnerin des Dorfes Kapuri im Bezirk Juba, ist eine der Vorreiterinnen des Projekts. Frau Isaiah, 44 Jahre alt, ist Mutter von sechs Kindern. Trotz ihrer bescheidenen Herkunft arbeiten sie und ihr Mann hart, im Steinbruch und im Kleinanbau von Gemüse, um ihre Familie zu ernähren. Sie erzählt uns ihre bewegende Geschichte:
„Das Leben in Kapuri ist in Ordnung, aber in den Zeiten, in denen NGOs kommen, um ausgewählte Menschen in der Gemeinde zu unterstützen, bin ich oft frustriert. Denn ich werde immer übersehen und nicht berücksichtigt, ja nicht einmal registriert, aus Gründen, die ich nicht verstehe. Eines Tages kündigte der unserer Dorfvorsteher das Projekt von VSF-Suisse an und erklärte, dass sie nach besonders verletzlichen Personen aus unserer Gemeinschaft suchen, darunter Witwen, Waisen, ältere Menschen, Frauen und Jugendliche, um sie mit ‚Kuroiler‘-Hühnern zu unterstützen. Ich war voller Hoffnung und erwartete, nun endlich zum ersten Mal berücksichtigt zu werden. Ich ging zum Registrierungsort, wurde jedoch wie immer nicht registriert. Aber dieses Mal sagte ich mir: ‚Ich werde nicht still bleiben.‘ Ich beschwerte offiziell und kehrte traurig nach Hause zurück.“
„Ich habe auf dem Heimweg viel gebetet. Am nächsten Tag informierte man mich, dass ich den Registrierungsort aufsuchen solle. Meine Beschwerde wurde dem Personal von VSF-Suisse vorgelegt, und nach eingehenden Diskussionen beschloss das Team, mich zu registrieren. Ich wurde registriert, und einen Monat später erhielt ich fünf Hühner. Ich brachte sie sofort in meine ‚Rokuba[1]‘ und sagte mir: ‚Egal was passiert, ihr werdet nicht sterben, denn ich möchte mein Leben und das meiner Familie verändern.‘ Dieses Ereignis erfüllte mich zum ersten Mal in meinem Leben mit grosser Freude“, fährt Frau Isaiah fort.
Frau Isaiah bat ihren Mann um Unterstützung beim Bau des Geflügelstalls, jedoch hatte er wegen seiner Arbeit keine Zeit dafür. Daher entschloss sie sich, eigenständig einen provisorischen Bau aus lokal verfügbaren Materialien zu errichten.
„Vier Monate später begannen die Menschen, Interesse am Kauf meiner Hühner zu zeigen. Ich zögerte zunächst, da mir die Küken sehr am Herzen lagen. Im Dezember 2023 kam ein Mann extra aus Juba und kaufte zwei meiner Hähne. Ich informierte ihn darüber, dass jeder Hahn 50‘000 SSP (CHF 27) koste. Er verhandelte nicht, sondern tätigte umgehend den Kauf. Ich war dankbar und ersetzte die Hähne, indem ich weitere auf den Marktplätzen kaufte“, erklärt Frau Isaiah.
„Ich erwarb fünf weitere Küken, um sie zu den verbleibenden drei hinzuzufügen, und zog sie weiterhin auf. Diese Hühner sind in der Lage, mehr als 30 Eier im Monat zu legen, die ich derzeit für 1‘500 SSP (CHF 0,80) pro Ei verkaufe. Viele Menschen mögen die Eier. Ich besitze mittlerweile über 70 Hühner. Darüber hinaus nutze ich den Mist meiner Geflügelfarm zum Düngen meines Gemüsegartens, was zu einer Steigerung meiner Gemüseproduktion geführt hat. Meine Familie ernährt sich jetzt ausgewogen von Geflügel, Eiern und Gemüse. Wie Sie sehen können, sind wir alle gesund! Meine Kinder gehen zur Schule, und wenn ihnen etwas fehlt, beschaffe ich es für sie, was die finanzielle Belastung für meinen Mann verringert“, strahlt Frau Isaiah.
Ihr Mann unterstützt sie nun bei der Beschaffung von Futter und Medikamenten für die Hühner. Auf die Frage nach den Herausforderungen, welche die Hühnerzucht mitbringt, erklärt Frau Isaiah, dass es mehrere gibt, darunter Schlangen, die 10 von 20 Hühnern töteten, die sie nach dem Verkauf der ersten beiden erworben hatte, Diebstähle in der Nachbarschaft sowie den unerwarteten Verlust von Hühnern durch Krankheiten. Derzeit nimmt Frau Isaiah die Funktion der Sekretärin der VSLA-Gruppe wahr, die aus 20 Frauen und Jugendlichen in Kapuri besteht. Seit Juli 2024 hat sich die Gruppe bereits viermal getroffen und 174‘500 SSP (CHF 95) angespart.
„Mein Rat an andere Frauen und Gemeindemitglieder, die ebenso wie ich keine höhere Schulbildung besitzen, ist, niemals etwas zu unterschätzen oder als selbstverständlich anzusehen. Die anstrengenden Tätigkeiten wie die, die ich ausführe, können tatsächlich unser Leben verändern. Ich danke dem Team von VSF-Suisse, das an mich geglaubt hat und der gesamten Gemeinschaft von Kapuri für die Unterstützung. Wären diese fünf Hühner nicht in meine Leben gekommen, wäre ich nicht an dem Punkt, an dem ich heute bin. Ich habe mir versprochen, es denen zu beweisen, die nicht wollten, dass ich Hühner bekomme“, schliesst sie ab.
[1] Eine Hütte/kleines Haus