Bild: Nicole Litschgi und Flurina Derungs im Gespräch.

Zwölf Jahre lang, davon die letzten vier als Geschäftsleiterin, hat sich Nicole Litschgi als Teil von VSF-Suisse unermüdlich für Menschen und Tiere in Afrika eingesetzt. Auf eigenen Wunsch verlässt sie unsere Organisation und übergibt die Geschäfte per 1. Juli 2023 an ihre Nachfolgerin. Mit Flurina Derungs stösst eine erfahrene NPO-Managerin zum Team, die mit frischen Ideen die Organisation weiterentwickeln und dabei auf das Bewährte aufbauen will. Im Gespräch schauen die zwei Frauen zurück auf das Erlebte und wagen einen Blick in die Zukunft – sowohl die persönliche wie auch die von VSF-Suisse.  

Nicole, schauen wir kurz zurück: Erinnerst du dich an deine ersten Wochen bei VSF-Suisse?  

Nicole Litschgi: Mein Eindruck beim ersten Betreten des Büros im September 2011 ist tatsächlich immer noch sehr präsent: Ein Sammelsurium an verschiedenen Möbeln; Dokumente und Ordner verstreut auf den Tischen und Regalen – ein Chaos, aber man merkte, dass hier hart gearbeitet wird. Schon am zweiten Tag war ich alleine im Büro, da die damalige Office Managerin auf Projektbesuch nach Ostafrika reiste. Ich habe sofort begonnen, mich in die ganzen Dossiers einzulesen. Im Dezember führte mich dann mein erster Projektbesuch nach Mali, wo ich die Entwicklungszusammenarbeit im Landwirtschaftssektor in der Praxis kennenlernte.  

Erzähl uns bitte ein bisschen mehr von dieser ersten Erfahrung in Mali?   

NL: Mit Moussa Diabaté, Direktor unserer langjährigen Partnerorganisation CAB Déméso entdeckte ich den Ansatz “action – problème – solution”. Anstatt auf Infrastruktur und teures Equipment zu bauen, setzte dieser Ansatz bei den Akteuren und deren Organisation an: gearbeitet wurde mit Menschen, die bereits in irgendeiner Form in der Milchwertschöpfungskette tätig waren, meist jedoch auf eine unorganisierte und ineffiziente Art und Weise. Die Menschen waren also bereits aktiv am Milch produzieren, sammeln, weiterverarbeiten oder verkaufen, trafen bei der Ausübung ihrer Aktivität aber auf Probleme, für diese man dann gemeinsam nach einfachen und nachhaltigen Lösungen suchte.  Neben diesen positiven Eindrücken der ersten Monate und der Gewissheit, dass die Projektarbeit zielgerichtet und nachhaltig verlief, wurde mir aber auch schnell bewusst, dass nicht alles rund läuft. Vor allem kämpfte VSF-Suisse in dieser Zeit mit finanziellen und institutionellen Problemen.  

Und hat sich dies geändert? Wie gross ist der Kontrast zum heutigen Zustand der Organisation?   

NL: Das Kerngeschäft, also die Projektarbeit in den Ländern, war immer die grosse Stärke der Organisation. Der grösste Kontrast zwischen damals und heute liegt bei den Finanzen: Im Jahr 2011 hatten wir ein negatives Organisationskapital von einer halben Million Franken, heute ein Polster in der Höhe von einer Million Franken. Ein weiterer offenkundiger Kontrast ist sicherlich in der Geschäftsstelle zu sehen. Damals waren wir nur drei Mitarbeitende in Bern. Um auf die Bedürfnisse einer wachsenden Organisation einzugehen war hier eine Professionalisierung und Aufstockung zwingend nötig. Heute besteht die Geschäftsstelle aus 12 Personen, tätig in den Bereichen Projekte, Finanzen sowie Fundraising und Kommunikation. Durch diese Professionalisierung kann VSF-Suisse heute auch grosse Projekte von wichtigen staatlichen Geldgebern mit langfristigem Horizont durchführen und sogar den Lead in Projekt-Konsortien übernehmen. VSF-Suisse ist heute gut vernetzt in der Schweizer NGO Landschaft und erhält als Mitglied der Allianz Sufosec einen Programmbeitrag der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Das ist auf jeden Fall eine andere Situation als vor 12 Jahren! 

Was waren die grössten Herausforderungen auf dem Weg hier hin?  

NL: Auf jeden Fall die finanzielle Situation. Bei Projekteingaben mussten wir viel Überzeugungsarbeit leisten, damit uns die Geldgeber überhaupt berücksichtigen: neben den Projekten selber, mussten wir auch die eingeleiteten Massnahmen zur finanziellen Sicherung der Organisation überzeugend darlegen. Nach und nach ist es uns gelungen das Vertrauen wieder zurückgewinnen. Eine weitere grosse Herausforderung war sicherlich die Schliessung unseres Landesprogrammes in der Demokratischen Republik Kongo im Jahr 2012. Ich reiste nach Goma in Nord Kivu, um unseren Mitarbeitenden die Schliessung zu erklären, zu einem Zeitpunkt als die bewaffneten M23 Rebellen nur wenige Kilometer vor der Stadt standen. Den Mitarbeitenden zu sagen, dass es nicht weitergeht und mit der Arbeit aufzuhören, in einer Region wo die Not so gross war, war emotional sehr belastend. 

Und was ist dir persönlich besonders positiv in Erinnerung geblieben? Gibt es den prägenden Moment?   

NL: Es gab sehr viele prägende Momente, es war eine intensive Zeit bei VSF-Suisse (lacht). Aber ein ganz besonders wichtiger Moment für die Organisation kam Ende 2013. Nach einem kurzen Aufatmen im 2011 und 2012, hat uns die Vergangenheit 2013 nochmals eingeholt und der Verein stand kurz vor der Auflösung. Es blieb uns nichts anderes übrig als unter dem Motto “auch Kleinvieh macht Mist” öffentlich um Hilfe zu bitten – und was folgte war überwältigend: Dank der sofortigen und grosszügigen Unterstützung der Schweizer Tierärzteschaft, der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte sowie diverser Privatpersonen konnten die grössten finanziellen Löcher gestopft werden. Dies hat gezeigt, wie tief VSF-Suisse in der Schweizer Tierärzteschaft verankert ist und von ihr getragen wird. Bis heute bin ich dafür dankbar.  

Nicole Litschgi mit den fünf VSF-Suissse Länderverantwortlichen an den Jubiläumsfeierlichkeiten in Togo, 2022.

Ein weiterer Schlüsselmoment war im Jahr 2016 in Isiolo in Kenia, am ersten regionalen Treffen unserer Projekt- und Länderverantwortlichen aus Kenia, Südsudan, Äthiopien und Somalia. Nach vielen Jahren des Seilziehens zwischen den Länderbüros und dem Hauptsitz, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, jetzt ziehen wir alle am selben Ende des Strickes und haben eine gemeinsame Vision für unsere Programme und die Weiterentwicklung unserer Organisation. Die Krise war ausgestanden und Aufbruchstimmung kam auf.  

Schliesslich ist auch die Mitgründung der Sufosec Allianz, der Schweizer Allianz für nachhaltige Ernährung weltweit im Jahr 2019 und die Gestaltung eines gemeinsamen internationalen Programms mit 5 weiteren Schweizer NGOs ein ganz wichtiger Meilenstein der letzten Jahre. 

Und nun suchst du nach all diesen Erlebnissen ein neues Abenteuer?     

NL: Bei VSF-Suisse durfte ich immer wieder neue Herausforderungen meistern. Ich habe jung angefangen und durfte mit der Organisation wachsen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mich einer neuen Herausforderung in einem anderen organisatorischen Umfeld zu stellen. Ich mache eine Türe zu, damit eine andere aufgehen kann. Ich bin und bleibe VSF-Suisse aber stark verbunden.  

Du übergibst nun die Geschäfte an deine Nachfolgerin Flurina Derungs. Wie fühlst du dich dabei?    

NL: Flurina als Nachfolgerin zu haben ist ein wahrer Glücksfall für die Organisation. Es ist beruhigend für mich, die Geschäfte an eine Person zu übergeben, bei der ich so ein gutes Gefühl habe. Ich bin überzeugt, dass Flurina VSF-Suisse nach den aufregenden und manchmal unruhigen letzten 12 Jahren in eine stabile und vielversprechende Zukunft führen wird.  

Flurina, das sind grosse Fussstapfen, in welche du trittst. Spontane Gedanken dazu?  

Flurina Derungs: Für mich war es gerade sehr eindrücklich, durch die Augen von Nicole auf 12 Jahre VSF-Suisse zurückzublicken. In O-Ton zu hören von der Schliessung des DRC-Länderbüros oder wie Länderbüros und Hauptsitz in Kenia wieder am gleichen Ende des Seiles ziehen, hat mich sehr berührt. Ich freue mich, nun in diese sehr grossen Fussstapfen von Nicole zu treten, habe aber selbstverständlich auch grossen Respekt davor. Nicole hat die Organisation während vielen Jahren geprägt, ist mit der Organisation mitgewachsen und hat sie so weit gebracht, nun komme ich. Ich bin eine ganz andere Person als Nicole. Ich komme nun von aussen, bringe viel Herzblut, einen Kopf voller Ideen, einen Rucksack von vielen Jahren in der internationalen Zusammenarbeit – und v.a. habe ich ein grossartiges Team im Rücken. Ich freue mich sehr auf die bevorstehenden Aufgaben! 

Feministische Friedensarbeit und Tiergesundheit: Thematisch haben deine ehemalige und jetzige Organisation auf den ersten Blick nicht viel gemein. Stimmt der Eindruck?   

FD: Auf den ersten Blick nicht, auf den zweiten aber sehr viel! Ich setze mich seit über 20 Jahren für das Recht aller Menschen auf ein Leben in Würde und Sicherheit ein – sei dies als lokale Fachperson in Tansania und Uganda in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen, als Dozentin zu Menschenrechten an der Uni, als Sozialarbeiterin im Strafvollzug oder wie in den letzten sechs Jahren als Geschäftsleiterin einer Friedensorganisation mit Projekten in konfliktbetroffenen Regionen. Dabei ist es mir immer wichtig, die Stimmen und Anliegen von marginalisierten Menschen hörbar zu machen und einen Beitrag zu leisten zur Verbesserung ihrer Lebenssituation. Selbstverständlich nehme ich aber mich selber mit bei einem Jobwechsel. So ist mir die Geschlechterperspektive in der Arbeit von VSF-Suisse sehr wichtig, denn Ernährungssicherheit und Armutsreduktion haben ja sehr viel mit Geschlechterfragen zu tun. Und ich bin so froh, mit einem so engagierten, erfahrenen und kompetenten Team zusammenarbeiten zu können – sowohl am Hauptsitz als auch in den fünf Länderbüros. 

Viele Überschneidungspunkte also. Du hast langjährige Erfahrung im NPO-Management. Welche Fähigkeiten sind hier besonders gefragt?    

FD: Mit meinem Hintergrund als Geschäftsleiterin in der Internationalen Zusammenarbeit und einem Diplom in NPO-Management sehe ich mich v.a. als Vernetzerin, als Gesicht der Organisation gegen aussen sowie als Teambuilderin in einer fazilitierenden Rolle gegen innen. In Zusammenarbeit mit dem Vorstand und dem Team möchte ich die Organisation gestalten und weiterbringen. Ich bin stark darin, ohne Mikromanagement die Fäden zusammenzuhalten, ein Team zusammenzuschmieden und Mitarbeiter:innen zu motivieren. Und es liegt mir auch sehr, die Organisation gegen aussen zu positionieren – sei dies gegenüber Finanzierungs-Partner:innen oder anderen Organisationen.

Du bist nun seit einem Monat in der Übergabephase mit Nicole und übernimmst ab dem 1. Juli alle Geschäfte. Welche Aufgabe gehst du als erstes an?  

FD: Mir ist es ein grosses Anliegen, die Organisation finanziell weiter zu konsolidieren – so steht das Fundraising und der Kontakt zu Finanzierungs-Partner:innen hoch oben auf meiner Prioritätenliste. Weiter bin ich überzeugt, dass ein Team, in dem sich alle wohlfühlen und alle gut zusammenarbeiten, Grosses bewirken kann. So investiere ich viel in Teamzusammenhalt, gesunde Rahmenbedingungen und Ressourcenallokation sowie in effiziente Abläufe. Ganz besonders freue ich mich in diesem Zusammenhang auf den Austausch mit unseren Mitarbeiter:innen in den Länderbüros – online, am Face-to-Face im September und auch auf Projektreisen, wo ich bald unsere Arbeit vor Ort kennenlerne und mich mit den Projektteilnehmer:innen direkt auszutauschen kann.  

Und was hat dich speziell beeindruckt in dieser ersten Zeit?   

FD: Es sind zwei Dinge, die in meinen ersten Wochen hervorgestochen sind: Einerseits hat mich beeindruckt, wie VSF-Suisse auch als kleine Organisation die Chancen der Digitalisierung nutzt, um in dezentralen Teams zusammenzuarbeiten – sei dies am Hauptsitz und mit den Länderbüros, aber auch im Rahmen von Allianzen und Netzwerken. Andererseits habe ich hohe Achtung, wie es VSF-Suisse immer wieder schafft, in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen kompetitiv Gelder einzuwerben über Ausschreibungen und Mandate von grossen Geldgebern wie DEZA, USAID, EU und UNO.

Wohin soll es mittel- und langfristig mit VSF-Suisse gehen?   

FD: Wir haben es von Nicole gehört: Herausfordernde Jahre liegen hinter uns. Nicole und ihrem Vorgänger ist es gelungen, das Ruder rumzureissen und die Organisation aufzubauen. Team und Projektvolumen sind gewachsen, das Organisationskapital auch. Jetzt möchte ich – in Zusammenarbeit mit Vorstand und Team – VSF-Suisse in die Stabilität führen, konsolidieren und proaktiv gestalten. Ich sehe insbesondere Potential in der Weiterführung und Pflege von strategischen Partnerschaften, um mehr Wirkung zu erzielen, Synergien zu nutzen und dabei mehr Hebelwirkung zu erzeugen für die Menschen, für die sich VSF-Suisse einsetzt.

NL: Ich wünsche Flurina vor allem, dass sie in Ruhe die qualitativ hochstehende Arbeit von VSF-Suisse weiterführen und dabei eine messbare Wirkung erzielen kann. Gerade jetzt braucht es VSF-Suisse mehr denn je, denn der Hunger ist in den letzten 3 Jahren weltweit traurigerweise wieder angestiegen.

An dieser Stelle möchten wir uns im Namen des ganzen Teams bei dir, Nicole, für die geleistete Arbeit und den unermüdlichen Einsatz von Herzen bedanken. Auf deinem weiteren Weg wünschen wir dir alles Gute. Für dich, Flurina, noch einmal ein herzliches Willkommen – wir freuen uns auf die Zusammenarbeit.    

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